Silvester bei den Kannibalen
von Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Kasten Am Silvesterabend setzen
sich die nackten Menschenfresser
um ein Feuer, und sie wetzen
zähneklappernd lange Messer.

Trinken dabei - das schmeckt sehr gut -
Bambus-Soda mit Menschenblut.

Dann werden aus einem tiefen Schacht
die eingefangenen Kinder gebracht
und kaltgemacht.

Das Rückgrat geknickt,
die Knochen zerknackt,
die Schenkel gespickt,
die Lebern zerhackt,
die Bäuchlein gewalzt,
die Bäckchen paniert,
die Zehen gefalzt
und die Äuglein garniert.

Man trinkt eine Runde und noch eine Runde,
und allen läuft das Wasser im Munde
zusammen, auseinander und wieder zusammen.

Bis über den feierlichen Flammen
die kleinen Kinder mit Zutaten
kochen, rösten, schmoren und braten.

Kasten Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
zubereitet als Karpfen blau,
riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
nur mehr nach Kokosfett und Palmin.

Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
auf Zwölf, es entschwindet das alte Jahr,
die Kinder und der Karpfen sind gar,
es wird gespeist.

Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
besoffen und überfressen, ganz matt sind,
dann denken sie der geschlachteten Kleinen
mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.